Noas Strickerei fliegt samt Nadeln an Simons Kopf. »Aua!«
»So jetzt reicht es!« Frau Hartmann steht erzürnt hinter ihrem Pult auf. In fünf Sätzen ist sie am Schülerpult, packt Noa am Arm und zerrt ihn zur Türe. Die ganze Klasse grinst. Simon streckt Noa die Zunge raus. »Schluss jetzt. Und du bist gleich der nächste« droht sie Simon.
Die Klasse schweigt und strickt.
»Wer mit den ersten dreissig Reihen durch ist stellt sich an zum Zeigen« dröhnt Frau Hartmanns Stimme durch das Gewirr von klappernden Stricknadeln, rutschenden Stühlen, albernem Gekicher und Geknuffe und Gestöhne. Ihre Hände sind heiss und zittern als sie sich wieder ans Pult setzt.
Pia sticht Simon mit der Stricknadel in den Oberarm. »Aua.«
»Schluss jetzt. Den nächsten den ich höre, der fliegt ebenfalls raus.« Frau Hartmann ist mit den Nerven am Ende. Und immer noch sind es zwanzig Minuten bis zum Ende der Handarbeitsstunde. Sie vergräbt sich in ihr Buch. Es müssen noch so viele Stunden vorbereitet werden bis zum Ende des Schuljahres. Kaum hat sie den ersten Satz gelesen, stehen Anna, Yasmin und Elvira bereits als kleine Schlange an ihrem Pult um ihre Arbeiten zu zeigen. Wenigstens ein Lichtblick im Dunkel dieser Handarbeitsstunde.
»Hier musst du noch einmal auftrennen und diese drei Maschen zusammen stricken.« murmelt Frau Hartmann mit gerunzelter Stirn und sieht Anna über die Brillenränder vorwurfsvoll an. Anna rafft ihr Gestricke und zieht frustriert von dannen während Mario und Jessie sich hinter den beiden andern Mädchen anstellen. Schon geht das Gezerre an den Mädels und Frau Hartmanns Nerven wieder los. Schnell winkt die Lehrerin die beiden Mädchen durch.
»Siehst du denn nicht wie krumm das alles ist. Auftrennen und nochmal von vorne.« Frau Hartmann erschreckt selbst über ihre unwirsche, kalte Stimme. Mario grinst, reisst die Nadeln aus der Strickerei und an den Fäden. Ein Gegröle und Gejohle.
Frau Hartmann steht entrüstet auf. »Das wirst du jetzt sauber aufrollen.« Mario tippt sich an die Stirn und pfeffert Nadeln und Wollgewirr in den Mülleimer. Frau Hartmann steht den Tränen nah. Das aber darf auf keinen Fall geschehen. Sie wendet sich ab. Wischt die Tafel und lässt Jessie stehen.
Rewind.
Noas Strickerei fliegt samt Nadeln an Simons Kopf. »Aua!«
Frau Hartmann steht auf, hebt die Strickerei auf, legt sie vor Noa auf das Pult. »Du sollst sie mir zeigen, nicht Simon«, lächelt die Handarbeitslehrerin. »Sieht doch schon recht passabel aus. Noch zehn Reihen, dann bitte zeigen. Wenn es geht, versuch hier am Rand weniger eng zu ziehen, dann wird das Ganze weniger krumm. Gerade Ränder gibt bessere Noten.« Frau Hartmann reicht Noa die Strickerei und nickt anerkennend.
Dann geht sie weiter zu Simon. »Und wie läuft es bei dir? « Simon murmelt etwas abweisend vor sich hin. »Gut gemacht, bald hast du Noa überholt und gerade sind deine Ränder auch. Weiter so.« sagt sie freundlich zu dem jungen strickunwilligen Mann.
»Schon jemand bei Reihe dreissig angelangt?« fragt Frau Hartmann während sie durch die Reihen spaziert und geflissentlich das Geknuffe und Gejaule von Mario und Jessie überhört. Anna streckt ihre Strickerei und eine Hand in die Höhe. Frau Hartmann prüft das Gestrick eingehend und würdigt das Werk: »Noch zwei Reihen«, zählt sie nach und lächelt. »Schön gelungen. Pass auf, dass du hier nicht zu locker wirst am Rand und in der vorletzten Reihe hast du vergessen diese drei Maschen zusammen zu stricken. So wird das zu weit und wird vielleicht nicht passen. Schau, mit einer Häkelnadel können wir das gemeinsam flicken.« Frau Hartmann stellt sich hinter Anna und zeigt ihr die Korrektur während Elvira und Monika neugierig zuschauen.
Weit hinten fliegt etwas durch das Klassenzimmer und Yakin an den Kopf. Der hebt seine Faust und schreit: »Krass Depp Mann!« Schon will er durch das Zimmer stürmen, aber Frau Hartmann setzt sich zu ihm und besieht sich seine Strickerei. »Ignorier Mario jetzt einfach mal. Zeig mir doch wie weit du bereits gekommen bist.« Yakin macht eine verächtliche Geste. Stricken ist nicht seins.
»Also ich würde sagen die fünf Reihen sind doch schon mal eine drei wert. Nochmal fünf und wir erhöhen.« Sie lächelt Yakin an und geht zum nächsten Schüler. Bald wird es läuten und die kleinen Tiger sind für einmal mehr in Schach gehalten worden, denkt Frau Hartmann bei sich.