03_Ausdrucksfaehigkeit

»Erzählen sie doch mal kurz was so ihre Stärken und Schwächen sind.«

Lea hat sich das zwar überlegt, aber jetzt ist sie doch etwas gehemmt. Sie schweigt. Die Finger ihrer linken Hand trommeln auf ihr übergeschlagenes, unter dem Tisch verkreuztes Bein. Ihr Blick wandert aus dem Fenster. Sie schaut verlegen auf die rechte Hand die auf dem leeren Tisch vor ihr liegt.

Herr Meierhuber lächelt freundlich und aufmunternd.

»Also ich denke, dass ich freundlich bin, im Team und so.«

»Schön. Und worin sind sie nicht so gut?«

Als wenn er das nicht selber anhand der Zeugnisunterlagen sehen könnte, denkt Lea frustriert.

»Vielleicht bin ich nicht immer so pünktlich.«

»Ah ja? Was heisst das denn genau?«

Lea schaut Meierhuber an. Was war das denn für eine Frage?

»Naja ich habe auch schon mal verschlafen und komme dann zu spät weil ich den Bus nicht erwischt habe.«

»Woran liegt das denn? Und kommt das öfters vor?«

»Nein, Nein. Nicht so oft.«

Trotzig schürzt Lea die Lippen. Dieser Personalchef will sie ja eh nicht.

»Und wie gut sind ihre Englischkenntnisse?«, fragt er jetzt auch noch.

Lea ist wie gelähmt, denkt an die Noten im Abschlusszeugnis.

»Es geht so. Ich denke okay.«

Herr Meierhuber sieht Lea mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Okay. So. Mmh. Erzählen sie mir doch wie sie an der letzten Stelle einen Reklamationsfall gehandhabt haben.«

Lea versucht sich mühsam zu erinnern. Klar gab es Reklamationen, aber es wollte ihr partout nichts Genaues in den Sinn kommen.

»Also Reklamationen gab es nur wenige. Schon hin und wieder. Aber das war nichts Besonderes.«

Herr Meierhuber seufzt.

»Was sind denn ihre Lohnvorstellungen?«

Lea sinkt in sich zusammen.

»Ich weiss nicht, vielleicht das was üblich ist?«

Herr Meierhuber schiebt die Papiere vor sich auf dem Tisch zusammen, klappt das Dossier mit Leas Unterlagen zu, steht auf und reicht ihr die Hand.

»Ich danke ihnen, dass sie zu uns gekommen sind. Sie werden von uns hören.«

Lea schüttelt ihm die Hand und zieht geschlagen von dannen.

 

»Na wie lief es beim Vorstellungstermin?«, fragt Tante Rosmarie.

»Nicht gut, glaub ich.«

»Oh. Und woran lag es?«

»Ich kann das einfach nicht, so mit Fremden reden.«

»Vielleicht sollten wir das mit dem Vorstellungsgespräch einmal zusammen üben?«

 

Nach dem gemeinsamen Tee bei Tante Rosmarie gibt es verordnetes Lesen von Sachliteratur, Anschauen von Jobinterviews und bei einigen weiteren Tees diverse Übungssequenzen.

»Liebes Kind. Reden lernt man durch Reden, und die Sprache dazu lernst Du beim Lesen«, betet Tante Rosmarie jedes Mal erneut runter.

»Jetzt beobachte diese beiden Herren im Gespräch«, fordert die Tante Lea auf »sieh auf ihre Körperhaltung, ihre Gesten und ihre Mimik, denn das macht zwei Drittel der Kommunikation aus. Wer hiermit kein Vertrauen schaffen kann, kann so schön reden wie er will und es nützt nix.«

Und immer wieder bläut die Tante Lea ein sich selbstbewusst zu geben, auch wenn sie es nicht unbedingt voll und ganz wäre.

»Wenn du nicht weisst was du sagen sollst, kannst du mit einer Frage kontern und gewinnst Zeit zum Nachdenken.« Das leuchtet Lea ein.

»Je mehr du in Beispielen, Bildern und Metaphern denken kannst, dir konkret ausmalst wie etwas ist, desto einfacher wirst du auch beschreibende Worte dafür finden.« Das war einfach.

»Bleib gelassen aber freundlich dem anderen zugewandt, auch wenn der etwas sagt, was dir nicht gefällt. Je weniger ernst du dich selbst nimmst, dafür den anderen umso ernster, desto besser kannst du mit ihm sprechen und dich und deine Ideen verkaufen. Und vor allem: sieh ihn an und lächle!.«

So lernt Lea von Tante Rosmarie, dass es viel weniger wichtig ist was man sagt, so lange es mit Interesse und Begeisterung erzählt wird und mit Gesten und Mimik untermalt.

 

Rewind.

 

Lea sitzt über das Eck Herrn Neuner gegenüber. Sie lächelt ihn an und trinkt einen Schluck Wasser. Nicht zu lässig aber doch Sicherheit demonstrierend, auch wenn ihr etwas mulmig zu Mute ist. Aber sie ist gut vorbereitet.

»Vielleicht erzählen sie mir noch etwas von ihren Stärken und Schwächen?«, fordert der Personalchef Lea freundlich auf.

Lea setzt sich gerade, blickt ihn an und erzählt wie sie es mit Tante Rosmarie geübt hatte: »Ich arbeite sehr gut und gerne im Team und kann mich überall gut integrieren, weil ich nicht extrem dominant bin. Und mich auch mal unterordnen kann. Das hat mir auch mein letzter Chef im Abschlussgespräch bestätigt. Da hat er auch gesagt, dass ich mir wirklich Mühe gegeben habe, pünktlich zu sein, auch wenn mein Zeitgefühl mich manchmal etwas im Stich lässt.«

Herr Neuner sieht Lea fragend an.

»Aber ich habe jetzt überall Uhren installiert, seit da bin ich eigentlich nie mehr zu spät«, lächelt Lea zurück und sieht ihn freundlich an »Ich weiss, dass Pünktlichkeit zählt, gerade im Umgang mit Kunden, aber auch im Team.«

Herr Neuner nickt bestätigend.

»Und wie sieht es mit ihren Englischkenntnissen aus?«

»Meine Schulnoten in Englisch sind zwar nicht die besten, aber ich habe seit einiger Zeit eine Brieffreundin in Australien, und ich plane einen Ferienkurs in England. Früher war mir einfach noch nicht so klar, dass Englisch so wichtig ist. Aber ich hole auf«, lächelt Lea.

Herr Neuner nickt anerkennend.

Dann fragt er: »Gab es auch schon mal schwierige Situationen im letzten Job?«

Lea nickt und beginnt zu erzählen wie mit Tante Rosmarie geübt. Von dem Zwischenfall mit der empörten Kundin die eine Mahnung bekommen hatte. Es wird eine sehr anschauliche Schilderung die sie davor Herrn Neuner entstehen lässt. Einmal muss er sogar lachen und sagt. »Ja, manchmal ist es auch nicht nur einfach mit den Kunden.«

»Und was sind denn ihre Lohnvorstellungen?« fragt Herr Neuner.

Lea holt Luft. Sie denkt an die Übungsgespräche mit Tante Rosmarie. »Bei der Firma Notenbauer bekam ich 4‘500. Aber jetzt bringe ich ja auch die Ausbildung in der Buchhaltung mit, auch habe ich die letzten drei Jahre nie eine Lohnerhöhung bekommen, deshalb hätte ich jetzt gerne 4‘800 Lohn.«

Herr Neuner setzt sein Pokerface auf. Aber insgeheim freut er sich.