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Fröhlich beschwingt schlenderte sie durch den Frühlingswald. Die Sonne kitzelte ihre nackten Arme. Über ihr rauschte sanft das hellgrüne spriessende Blätterdach des Waldes. Vogelzwitschern und ab und zu ein Auto entfernt vorbei fahrend. „Friede, Freude, Eierkuchen.“ Sang sie als Singsang leise vor sich hin. Ihre Schritte lenkte sie nach links in die Richtung des kleinen Hangs. Dort wuchs er. Der Bärlauch. Hendrik  liebte Bärlauch. Sie fand ihn ganz okay. Vor allem den Gestank nach dem Essen mochte sie aber gar nicht. „Hänschen klein, ging allein in den grossen Wald hinein… tat ihm gut, braucht viel Mut und sammelt den ganzen Bärlauch ein.“ Zufrieden schmunzelnd tänzelte sie an den Rand des mit Bärlauch überwachsenen Fleckens. Die Sonne beschien die hellgrünen länglichen Blätter und sie bückte sich.

Gemächlich zupfte sie von einigen Blättern etwas ab. Zerrieb es in den Fingern und roch daran. Knoblauchig. Sie zog die kleine Schere aus dem Korb an ihrem Arm. Und schnitt die Bärlauchblätter. Locker und luftig legte sie die abgeschnittenen Blätter in den Korb. In der Hocke rutschte sie weiter. Und zerrieb immer mal wieder einige Blätter zur Kontrolle zwischen den Fingerspitzen. „Mmmhh. Nicht knoblauchig.“ Erfreut schnitt sie einen Büschel Blätter nach dem andern und legte sie ganz auf die rechte Seite zu den übrigen Blättern.

Welch herrlicher Tag. Der ideale Tag für Pasta an Bärlauchpesto. Sie liebte kochen. Und sie liebte Hendrik. „Vertrau mir.“ hatte er gesagt. Und weil sie ihn liebte hatte sie ihm vertraut. Leider. Aber das wusste sie erst hinterher. Nach dem Konkurs. Sie hätte ihm wohl besser nicht vertraut. Neunzigtausend Euro. Futsch. Das war schlimmer als das Foto, das sie auf seinem Handy fand. Aber das Foto war auch nicht ganz das was sie sehen wollte. „Vertrau mir, ich muss ein paar Nachtschichten machen, damit ich das Geld zusammenkriege für das eigene Geschäft.“ Ja sicher, Nachtschichten mit Tanja. „Vertrau mir, ich finde dich schön. Du bist für mich die Einzige und Schönste.“ Ja klar. Tanja war ja auch nur halbnackt auf dem Foto in seinem Handy. „Als Anreiz für die nächsten heissen Nächte, Tanja.“ stand darunter in der MMS.

„Was gehst du aber auch hin und schnüffelst in seinen Sachen rum!“ schimpfte Ingrid sie aus, als sie ihr heulend von dem Foto erzählte. So wenig Verständnis und Beistand hätte sie von ihrer besten Freundin nicht erwartet gehabt. Aber da wusste sie ja auch noch nicht, dass Ingrid und Hendrik … „Vertrau mir“ hatte Ingrid zu ihr gesagt: „du gehst jetzt heim und tust als wenn du nichts davon wüsstest. Du willst dir doch nicht all die schönen Jahre und die schöne Beziehung kaputt machen die ihr habt.“ Und sie dumme Gans hatte ihr vertraut. Naja. Aber sie war ja nicht nachtragend. Auch nicht dafür, dass das Geld aus dem Konkurs offenbar auf Ingrids’ Konto gelandet war. Aber sie hütete sich Ingrid zu erzählen, dass sie beim Blumen giessen in ihren Sachen gewühlt hatte. Ingrid würde das nicht mögen.

„Liebes vertrau mir“ sagte ihre Mutter „wenn du die Blätter so zwischen den Fingern zerreibst müssen sie nach Knoblauch riechen. Dann ist es Bärlauch. Wenn nicht, dann schneide sie bloss nicht ab. Das sind dann die Blätter der Herbstzeitlose.“ Ja ihre Mutter war eine gescheite Frau. Sie konnte alles immer so gut erklären. Schade war sie tot. Sie hätte ihr sicher sagen können, was sie nun am besten tun sollte. „Trust me Baby“ sagte der Typ im letzten Film den sie mit Hendrik  im Kino sah. Irgend so was mit viel Action und Explosionen und rasanten Verfolgungsjagden in allen möglichen bewegten Teilen. Naja. Und das Ende des Lieds? Kaum sagte er das zu seinem Mädel, war sie auch schon in den Händen der Schurken und am Ende tot.

Den Korb stellte sie vorsichtig auf den Küchentisch. Die Sonne blinzelte durch das Fenster und beschien den grünen saftigen Inhalt. Sie packte die Blätter von der rechten Seite bis zur Hälfte aus dem Korb und legte sie auf die Arbeitsfläche neben dem Kochherd. In den Mörser gab sie nun Salz, Knoblauch und Pinienkerne und nach einigem Zerreiben mit dem Stössel gab sie die Blätter und Olivenöl dazu und zerstiess alles zu einer samtigen Paste. Beinahe wolllüstig stiess sie den Stössel in diese herrliche giftgrüne Masse. Der Duft des Olivenöls und des knoblauchigen Bärlauchs stieg ihr in die Nase. Nach drei Ladungen Paste die allesamt in einer selbstgetöpferten kobaltblauen kleinen Schüssel verschwanden gab sie geriebenen Parmesan dazu und freute sich ob der phantastischen Konsistenz ihres Pesto.

Dann deckte sie den Tisch. Für drei. Auf die weissen Teller legte sie zum Dreieck gefaltete Servietten auf die sie je zwei Bärlauchblätter legte. Auf die weisse Tischdecke streute sie einzelne Bärlauchblätter. Das würde perfekt aussehen zu dem tiefen dunklen Rot in den Weingläsern. Zwei hellgrüne Kerzen steckten in den silbernen Kandelabern. Und sie hatte noch Glassterne gefunden. Zwei grüne für Hendrik  und Ingrid. Und einen weissen für sich.

Es klingelte. „Hallo Ingrid, Süsse!“ sagte sie beim Öffnen der Türe. „Hallo Schätzchen. Na wie geht es dir? Wie schön, dass ihr mich heute eingeladen habt!“ „Kein Problem. Immer gerne. Hendrik wird auch bald da sein. Magst du einen Schluck Prosecco?“ damit schob sie Ingrid ins Esszimmer und drückte ihr ein frisch eingeschenktes Champagnerglas in die Hand. Sie stiessen zusammen an. „Auf deine Gesundheit!“ „Und auf deine Ingrid!“ erwiderte sie. „ich muss noch kurz in die Küche… falls du mir Gesellschaft leisten willst?“ In dem Moment kam Hendrik  zur Haustür herein. „Ach nein, mach nur, ich begrüss mal deinen Mann.“ Damit schwebte Ingrid mit dem Glas in der Hand in den Flur.

Sie schnitt erst die Tomaten und dann den Mozarella in dünne Scheiben und schichtete sie elegant abwechslungsweise auf die drei kleinen weissen Teller. „Die guten ins Töpfchen die schlechten ins Kröpfchen“ murmelte sie während sie die Bärlauchstreifen über die weissrote Rädchenpracht streute. Olivenöl, Balsamico und Salz und Pfeffer aus der Mühle. Sie hörte die beiden tuscheln, während sie zwei Teller in der rechten und einen in der linken Hand von der Küche ins Esszimmer balancierte. „Hallo Schatz“ begrüsste Hendrik  sie mit einem flüchtigen Kuss. „Mmmh das riecht ja absolut genial nach Bärlauch! Du warst erfolgreich im Wald?“ fragte er begeistert. Sie lächelte ihn an. „Setzt Euch. Würdest du den Wein einschenken Hendrik  Lieber?“ bat sie ihn. Er beugte sich über Ingrid beim Einschenken. „Ja es war phantastisch heute im Wald. Hätte Euch auch gefallen. Und es gab reiche Beute. Genügend für ein komplettes Bärlauch Dinner. Naja, ohne Dessert… das schien mir dann doch etwas übertrieben.“ kicherte sie. Und die andern beiden grinsten beflissen mit. Aber sie war eine gute Köchin und das liess sich keiner freiwillig entgehen wenn sie zum Essen lud.

„Erster Gang: Tomaten Mozarella Salat mit Bärlauch. Zweiter Gang: Bärlauchschaum-süppchen. Dritter Gang Pasta mit Bärlauchpesto und Involtini. Und zum Dessert Erdbeeren karamellisiert mit Rotwein abgelöscht und mit grünem Pfeffer und …. Nein kein Bärlauch… frischer Minze.“ grinste sie die beiden an. „Vertraut mir, es ist vorzüglich. Lasst es euch schmecken!“ Die beiden bedankten sich und tauschten heimliche Blicke die sie wohl weislich übersah. Wie immer. Es fiel keinem der beiden auf, dass sie weniger Bärlaufstreifen auf dem Salat hatte, von dem sie auch nur wenig ass. Und auch nicht, dass sie weniger Suppe nahm und kaum welche ass. Sie unterhielten sich prächtig die beiden. Beachteten sie kaum. Wie meistens. Aber der Wein war köstlich. Die Involtini auch. Und Ingrid und Hendrik  konnten kaum genug bekommen von der Pasta. „Köstlich dein Pesto. Obwohl, irgendwie so ein ganz kleiner bitterer Nachgeschmack, aber vielleicht täusch ich mich auch nur. Ich bin ja total verrückt auf Bärlauch, du nicht auch?“ fragte Hendrik  seine Ingrid.

Sie konnte nur zusehen und zufrieden in sich hinein lächeln. Sie liebte es. wenn andere ihre Küche lobten und herzhaft zulangten. Die Erdbeeren waren zwar noch nicht ganz Saison und aus Spanien aber sie waren ganz okay. Vermutlich ziemlich verseucht und etwas vergiftet vom spritzen und düngen und was die sonst noch damit anstellten. Aber das kam ja auch nicht mehr drauf an. Sie ass auch nur wenig von den Erdbeeren. Dafür genoss sie den Espresso danach umso mehr. Die beiden wurden immer heiterer, aber was soll’s. Sollen sie halt ihren Spass haben.
Solange Ingrid nicht merkte, dass sie ihre Unterschrift auf der Bank gefälscht hatte um sich das Geld wieder auf ihr Konto zu überweisen. Aber soweit würde es wohl nicht mehr kommen. Sie vertraute sich selbst. Mal eine nette Abwechslung. Aber sie glaubte kaum, dass Ingrid nach Mitternacht noch allzu viel bemerken würde. Ausser vielleicht eine kleine Erregung gefolgt von einer Lähmungserscheinung. Vielleicht würde sie aber auch erst beim Aufstehen von Schwindelgefühlen gepackt und sich über ihren seekranken schwankenden Gang wundern. Mit etwas Pech wird einer oder beide blutigen Durchfall bekommen. Hoffentlich nicht. Sonst gehen sie noch zum Arzt. Am besten wäre einfach eine Kreislaufstörung und oder ein Kollaps. Nun, sie würde wohl oder übel von Hendrik  auf Ingrid schliessen müssen. Hoffentlich keine Kolik. Atemlähmung kann auch eintreten. Soll so sein in bis zu fünfzig Prozent der Fälle. Sie wusste, sie konnte ihrer Mutter vertrauen und auch sich selbst. Hatte sie genug Blätter verwendet?

„Es tut mir leid für Sie. Es ist zu spät für eine Behandlung.“ der nette junge Arzt schob ihr tröstend die Hand auf die Schulter. Sie nahm sich zusammen und es gefasst. „Colchicum autumnale oder auch Herbstzeitlose. Ein ziemlich übles Gift. Schon wenige Blätter Herbstzeitlose ergeben eine tödliche Dosis des Alkaloids Colchicin. Das ist ein Kapillar- Zell- und Mitosegift das seine Wirkung so zwischen 4 und 40 Stunden zeigt. Je nach Einnahmemenge. Ihr Mann wird die nächsten Stunden nicht überleben. Ich hab die Rettung alarmiert für den Transport in die Klinik, aber wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Und ich muss die Polizei informieren.“

„Wo waren Sie gestern Bärlauch sammeln?“ Sie erzählte es dem netten älteren Polizisten. So genau wie möglich. Wie sie die Blätter zwischen den Fingern zerrieben hat um zu prüfen ob es knoblauchig riecht.“ Sie war verstört, entsetzt und ein Bild des Jammers. Sie schien sich alle Schuld zu geben. Der freundliche Polizeibeamte beruhigte sie. „Nun sie können ja nicht jedes Blatt zerreiben. Verstehe schon, dass sie annehmen mussten, dass alles dort einfach nur Bärlauch ist. Der wächst ja auch wie verrückt und verbreitet sich wie wild. Wer kann schon annehmen, dass da die giftige Variante auch drunter ist. Das ist selten. Aber dennoch sterben pro Jahr 1-2 Menschen aus Versehen. Und noch dazu wo Sie doch Bärlauch selber gar nicht so mögen. Sie Arme, nun kriegen Sie sich wieder ein. Wir gehen ja auch wieder. Und wenn Sie Hilfe brauchen, dann gehen Sie zu einem Therapeuten. Ich weiss wie schwierig das ist mit so einer Schuld zu leben.“ Er entliess sie aus seiner schwachen Umarmung und setzte sie so wie sie da leise weinte auf den Küchenstuhl. Sie nahmen die restlichen Blätter aus dem Korb mit und gingen. Sie hörten sie noch auf dem Flur weinend auf ihrem Stuhl jammern: „wie konnte mir so was schreckliches passieren?“

Sie war gefasst als man ihr die Nachricht von Ingrids Tod überbrachte. Jeder verstand, dass sie noch unter Schock stand. Wie oft kochte man schon für den Mann und seine beste Freundin die dann an dem Essen starben? Wie furchtbar entsetzlich, fanden die Nachbarn. Sogar bis in die Tageszeitung schaffte sie es. Nicht auf die Titelseite, aber immerhin. Aber zum Glück fand keiner der Sensationshungrigen raus, dass ihr Geld wieder auf ihrem Konto war. „Vertrau mir, manchmal kommen die Dinge halt auf Umwegen zu dir“ hatte ihre Mutter früher zu ihr gesagt.

© Carolyn Pini, Mai 2007