12_Emotion

»Guten Morgen.«

Gemurmel erhebt sich im Raum.

Herr Reisenbuhr verzieht keine Miene.

Die Anwesenden aus dem Projektteam schauen ihn erwartungsvoll an.

»Zur aktuellen Lage: wir sind fünf Wochen im Verzug.«

Die Sitzungsteilnehmer sehen sich an und wundern sich. Scheint ja nicht wirklich ein Problem zu sein, so ruhig und gelassen wie Reisenbuhr drauf ist.

Leise, sachlich rieselt die Stimme des Projektleiters durch den Raum.

Meiser giesst sich entspannt Kaffee nach, Müller spitzt seinen Bleistift.

»Der Abschluss der Prozessbeschreibungen sollte in den nächsten zwei Wochen beendet sein«, schiebt Reisenbuhr nach.

War da ein Anflug von Energie in seiner Stimme? Frau Grob ist sich nicht sicher und schaut Meiser an. Der putzt gerade seine Fingernägel mit einem Zahnstocher.

»Denken sie an den Steuerungsausschuss. Der Termin ist in fünf Wochen. Ich kann nicht noch einmal erklären warum wir die Prozesse noch nicht fertig definiert haben.« Die monotone Stimme von Reisenbuhr ist kaum mehr auszuhalten.

Frau Grob streckt auf, versucht sich zu Wort zu melden.

Es dauert einige monotone Sätze, bis Reisenbuhr sie zur Kenntnis nimmt.

»Frau Grob?«

»Ich wollte anmerken, dass wir zum Teil die Workshops mit den Anwendern noch nicht durchführen konnten, weil deren Vorgesetzte befanden, dass das Tagesgeschäft in der aktuellen Lage wichtiger sei.«

Herr Reisenbuhr räuspert sich verlegen in seine Faust und sieht Frau Grob etwas ratlos an.

»Der Projektplan besagt aber eindeutig bis wann Beschreibung der Prozesse erledigt sein muss.«

Frau Grob gibt auf. Meiser grinst sie hämisch von der Seite an, als wolle er sagen: was hast du denn erwartet.

Als die eintönige Stimme Reisenbuhrs ihren Monolog beendet hat stehen alle auf und gehen.

Reisenbuhr setzt sich. Er sortiert seine Unterlagen und schüttelt den Kopf. Was gäbe er drum, hätten sie ihm bessere Projektmitarbeiter gegeben. Da war so kein Engagement. Und er musste wieder für alle den Kopf hinhalten. Reisenbuhr seufzt und geht in sein Büro.

Rewind.

»Guten Morgen zusammen«, grinst Reisenbuhr sein Projektteam an.

Gemurmel erhebt sich im Raum.

»Heute machen wir etwas tabula rasa im kleinen Stil«, droht Reisenbuhr mit hochgezogenen Augenbrauen und verzieht seine linke Mundecke als ob ihm was nicht schmeckte.

Frau Grob stubst Herrn Meiser an und flüstert: »Jetzt gibt es Schelte wegen der Prozessbeschreibungen.« Meiser seufzt.

Reisenbuhr baut sich vorne auf, stützt sich mit beiden Händen auf den Tisch vor ihm und lehnt sich sozusagen zu seinem Projektteam hin, mit einer sehr sorgenvollen Miene.

»Was glauben sie, wie es mir am Steuerungsausschuss von letztem Donnerstag ergangen ist?« Er macht eine Kunstpause und sieht jeden einzelnen an.

Meiser rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Gemütlich wäre anders.

Herr Müller legt seinen Bleistift auf den Schreibblock, während Reisenbuhr ihn fixiert.

»Das können sie gleich mitschreiben«, sagt Reisenbuhr zu Müller »die Prozessbeschreibungen sind nur zu sechzig Prozent fertig, da müssen sie alle noch einen gewaltigen Zahn zulegen.«

Frau Grob meldet sich zu Wort: »Ich wollte anmerken, dass wir zum Teil die Workshops mit den Anwendern noch nicht durchführen konnten, weil deren Vorgesetzte befanden, dass das Tagesgeschäft in der aktuellen Lage wichtiger sei.«

»Das habe ich dem Steuerungsausschuss auch gesagt und sie haben mir zugesichert, dass wir über die Anwender verfügen können.« Reisenbuhr macht eine kunstvolle Pause, zieht die Augenbrauen hoch und fährt fort: »An zwei dedizierten Workshop-Tagen!«

Dann fährt er fort: »Aber jetzt mal im Ernst Leute«, er schüttelt den Kopf und sieht in die Runde »ich bin schon etwas enttäuscht gerade.«

Betretenes Schweigen.

Doch bevor entrüstete Verteidigungsstimmen laut werden, fährt er fort: »Aber ich weiss, dass mit den Feiertagen, der aktuellen Geschäftslage das alles etwas schwierig war« er sieht in die Runde und schmunzelt »deshalb konnte ich auch zwei Wochen Pufferzeit rausschinden. Aber jetzt erwarte ich Vollgas und einen hervorragenden Workshop Anfang nächster Woche, dann sind wir mit dem Thema durch.«

Die Sitzungsteilnehmer nicken und zustimmendes Geraune macht sich breit.

»Dann wünsche ich viel Erfolg und erwarte die Einladung. Ich danke euch für die gute Mitarbeit und freue mich schon die Prozesse quer zu lesen. Frohes Schaffen.«

Damit entlässt er sein Team und sortiert seine Unterlagen. Er lächelt ihnen nach. Manchmal braucht es halt etwas mehr Anschub und seine Mimik spricht Bände.